Mehr Impressionen, weniger Emissionen – Geologische Wanderexkursion vom Tribulaun zum Schneeberg (19.-25. August 2019)

Eigentlich wollte ich um zwei Uhr heute Nachmittag in Gschnitz beim Gasthof Feuerstein am Start sein, und jetzt steckt mein Zug zwischen Frankfurt und Mannheim fest, weil ein Tornado zahlreiche Bäume gefällt hat. Geduld ist angesagt. Aber irgendwann geht es weiter und irgendwann bin ich dann auch mit drei Stunden Verspätung im Gschnitztal. Wolken ziehen auf, als ich zur Tribulaunhütte ansteige. Nach zwei Stunden bin ich oben; acht Exkursionsteilnehmer sind schon dort, aufs Beste versorgt von der Hüttenwirtin. Wir sind die einzigen Gäste, denn die Wettervorhersage ist schlecht.

Am nächsten Morgen machen wir erstmal eine geologische Einführung im Gastraum, um dem Regen zu entkommen. Aber irgendwann müssen wir doch los; steil geht es im Nebel hoch zum Gstreinjöchl. Wir kommen vom Hauptdolomit in den metamorphen Kalkkomplex, aber nicht aus dem Nebel raus. Drüben steigen wir ein Stück Richtung Obernbergertal ab und queren auf dürftigen Pfaden auf und ab nach links. Glücklicherweise ist der Weg gut markiert. Zwischendurch reißt es auf und wir sehen sogar die Kirche von Obernberg tief unten in den Wiesen des Talbodens stehen. So erreichen wir schließlich vom Muttenjoch den Gipfel des Muttenkopfs, einen grasbedeckten Hügel auf 2638 m Höhe. Hier oben steht Quarzphyllit an, der als Lage auf den Marmoren des metamorphen Kalkkomplex (Brennermesozoikum) liegt. Jonas hat zwei Flaschen edlen Obstbrand aus Navis mitgebracht, mit dem wir das Erreichen des ersten Gipfels gebührend feiern. So erwärmt geht es zurück – das Ganze in umgekehrter Reihenfolge! Ein gemütlicher Abend auf der Hütte rundet die Sache ab.

Am nächsten Morgen verlassen wir die Hütte bei zunächst sehr düsterem Wetter. Am Fuss des Gschnitzer Tribulauns finden wir wenige Meter unterhalb des Weges einen super Aufschluss der variszischen Diskordanz: Quarzkonglomerate aus dem Perm liegen waagerecht und diskordant auf den gefalteten Biotitgneisen des Ötztalkristallins – lehrbuchhaft! Wir schauen in den Abgrund der Zeit (wie einst Hutton am Siccar Point) und wandern dann weiter Richtung Sandesjöchl.

Unterwegs von der Tribulaunhütte zum Sandesjöchl

Dort angekommen, stellen wir erfreut fest, dass das Wetter schöner wird. Wir sehen die wilden Felswände von Goldkappl (in der steilen, brüchigen Südwand soll Hermann Buhl sich gefürchtet haben!) und Tribulaunen über uns und die italienische Tribulaunhütte am See unter uns. Nach genauer Untersuchung des tektonischen Kontakts zwischen Grundgebirge und Mesozoikum steigen wir zur Hütte ab und dann noch einmal gute 1000 m hinunter durch die verschiedenen Vegetationszonen ins Pflerschtal. Der Bus bringt uns schnell nach Ladurns und von dort der Sessellift mühelos hinauf zur Ladurner Hütte. Keine einsame Berghütte, sondern eher eine Gaststätte am Skilift, aber auch irgendwie gemütlich.

Der erste Gipfel, den wir am Donnerstag nach steilem Aufstieg erreichen, ist eine Baustelle. Eine neue Sessellift-Bergstation wird gebaut. Rundum sehen wir die Zeugnisse des modernen Skibetriebs, wie Schneekanonen und einen der typischen künstlichen Seen, die das Wasser zu ihrem Betrieb liefern. Doch bald geht es steil hoch zur Lotterscharte und wir sind wieder im richtigen Gebirge. Nach der Rast an der Scharte verfolgen wir den Grat ein Stück nach Südwesten (Edelweiß!) und treffen auf eine Scholle von Granatglimmerschiefern des Schneeberger Zuges, die hier überschoben auf dem Dolomit der Ötztaldecke liegen. Von hier queren wir die Mulde nach Süden und kommen auf den Weg zur Telfer Weißen. Obwohl es ein bisschen zu regnen beginnt, peilen wir diesen Gipfel noch an. Kurz vor dem Ziel gibt es eine kleine Kletterei in einem Kamin und über steile Platten, aber alles gut mit Drahtseil gesichert. Schon sind wir auf dem Gipfel und werden durch eine großartige Aussicht belohnt. Der Abstieg folgt demselben Weg, dann entlang dem Grat Richtung Rosskopf. Ein Schild warnt „nur für Geübte“ und richtig, der Grat wird ziemlich schmal und geht steil auf und ab, also Vorsicht! Endlich ist der Rosskopf erreicht und wir schlendern durchs Ski- und Wandergebiet hinab zum Sterzinger Haus, unserem Nachtquartier.

Edelweiß an der Lotterscharte
Zwischen Telfer Weißen und Roßkopf

Der nächste Morgen sieht uns mit der Gondelbahn hinab nach Sterzing schaukeln, in der Altstadt einkaufen und am Bahnhof gerade noch den Bus nach Ridnaun erwischen. Beim Bergbaumuseum von Ridnaun machen wir uns an den Aufstieg zur Schneeberger Hütte. Auf der Moarerbergalm  stärken wir uns mit Buttermilch und anderen Getränke, während es mal wieder zu regnen anfängt. Beim steilen Aufstieg zur Schneeberger Scharte wird es uns wieder etwas warm und beim Abstieg zur Schneeberger Hütte hört der Regen auf. Um die Hütte herum ist ein richtiges kleines Dorf, in dem jahrhundertelang die Schneeberger Knappen gelebt haben, bevor der Bergbau in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts zu Ende ging. An vielen Stellen ist der Boden aufgewühlt, ein bisschen wie Isengart im Herrn der Ringe.

Auf einer Rundtour erkunden wir am nächsten Tag die Geologie des Schneebergs. Zunächst steigen wir Richtung Karlscharte und machen einen etwas mühsamen Abstecher durch die Schutthalde nach rechts hoch zu einer namenlosen Scharte, in der der Kontakt zwischen Marmor (Brennermesozoikum) und Ötztal-Kristallin aufgeschlossen ist. Beim Rückweg und Weiterweg zur Karlscharte werden wir von einer Steinbockfamilie beäugt. Wir wandern ohne Weg auf der Nordseite der Schneeberger Weißen durch eine abstrakte weiße Gerölllandschaft, die das Abschmelzen des Gletschers hinterlassen hat. Vom Gletscher sind nur noch kümmerliche Reste vorhanden. Östlich der Schneeberger Weißen kommen wir etwas mühsam wieder auf den Grat und suchen nach einem Abstieg, während zunehmendes Grummeln ein Gewitter ankündigt. Ein alter, verfallener Weg ermöglicht den steilen Abstieg zum Kleinen Schwarzsee – eher nicht zur Nachahmung empfohlen. Wenn man den Grat noch ein Stück weiter nach Westen verfolgt, kommt ein besserer Abstiegsweg nach Süden. Aus dem beabsichtigten Bad im Kleinen Schwarzsee wird leider nichts, da es mittlerweile schon regnet. Bald sind wir wieder auf der Hütte.

Verkehrte Welt der Tektonik: Die Gürtelwand am Schneeberg. Oben das Ötztalkristallin, darunter in verkehrter Lagerung der helle Triasmarmor des Brennermesozoikums, darunter die Schiefer des Schneeberger Zugs

Sonntag ist Rückreisetag; nach zügigem Abstieg erreichen wir die Timmelsjochstraße an der Schneeberger Brücke. Der ÖPNV bringt uns in Gestalt eines Busses über die beeindruckende Timmelsjochstraße nach Obergurgl, dort steigen wir um in den Ötztalbus. Die Dörfer im oberen Teil des Ötztals bestehen aus teilweise gigantischen Hotelkästen, vier und fünf Sterne, hier ein Wellness Resort, dort Luxury Appartments, alles auf die Wintersaison zugeschnitten. Im Hintergrund schmelzen die Gletscher. Vom Ötztal-Bahnhof geht es mit dem Zug nach Innsbruck, Kufstein, München und weiter nach Hause, wo wir alle mehr oder weniger spät abends eingetroffen sind.

Fazit: eine landschaftlich sehr schöne und abwechslungsreiche Wanderexkursion mit sehr geringen Treibhausgasemissionen durch weitgehenden Verzicht auf Autobenutzung (1 PKW ist von Bonn aus gefahren und wurde in Sterzing abgestellt, um zwischendurch Gesteinsproben aufzunehmen). Die Etappen sind nicht extrem lang, aber etwas Fitness sollte man schon mitbringen. Von unseren Teilnehmern hatte niemand Probleme. Das letzte Stück zur Telfer Weißen und der Grat von Westen zum Rosskopf erfordern Trittsicherheit und Schwindelfreiheit. Beide Teilstücke sind aber nicht notwendig; der Rosskopf lässt sich auf der Nordseite über gute Wege umgehen. Unsere weglose Rundtour am Schneeberg erfordert auch Orientierungssinn und Trittsicherheit; man kann das Gebiet aber auch auf den markierten Wegen erkunden.  Wer einen Überblick über die gesamte Alpengeologie erhalten will, sollte definitiv eine andere Route wählen, denn die Exkursion verläuft ausschließlich im Ostalpin (Ötztaldecke und Schneeberger Zug). Unser Schwerpunkt lag auf Tektonik und Metamorphose, z.B. den spektakulären Granatglimmerschiefern im Schneeberger Zug. Die Teilnehmer waren Studierende im Masterstudiengang Geowissenschaften. Sehr viel Interessantes gibt es auch in Hinsicht auf Bergbau (am Schneeberg werden geführte Untertagetouren angeboten), Geomorphologie und rezente Massenbewegungen, z.B. einen frischen Bergsturz an der Tribulaun-Nordseite – auf dem ersten Foto rechts zu sehen -, dessen Schutt den Wanderweg überdeckt. Solche Ereignisse nehmen durch Erderwärmung und Auftauen des Permafrosts zu. Das Abschmelzen der Gletscher ist auf der Exkursion auch nicht zu übersehen, ebenso wie die teilweise fragwürdigen Entwicklungen im Tourismus, vor allem dem winterlichen. Die Hütten waren alle sehr gut und gastlich, sogar mit Duschen ausgestattet und keine der Hütten war überfüllt – eher im Gegenteil. Also insgesamt rundherum zur Nachahmung zu empfehlen!

Alle Fotos in diesem Beitrag sind von Norman Baumgärtner.